Wir gucken Menschen immer nur vor die Birne, was dahinter abläuft und den lieben, langen Tag so gedacht wird, davon haben wir meist keinen blassen Schimmer. Wir glauben alle, dass unsere scharfe Nachbarin Jutta ihr Leben im Griff hat, weil die morgens schon 20km joggt, jeden Tag ihren Chiasamen-Smoothie süppelt und im Elternbeirat der Grundschule Buxtehude im Vorstand sitzt. Ebenso verfallen wir dem Irrglauben, dass der schmucke Jobst, der aussieht wie von den Göttern geküsst, sich dessen bewusst ist und uns deshalb nicht mit dem Arsch anguckt, weil er eben einfach zu schön für uns ist. In Wahrheit rennt Jutta um ihr Leben und versucht ihre beschissene Kindheit zu verdrängen und Jobst ist heimlich in Gundi verknallt, traut sich es aber nicht ihr zu sagen, weil er von sich selbst glaubt, dass er aussieht wie ein Gnu im schleichenden Sterbeprozess. So haben wir alle unsere Struggle. Da ich ja pro “offen und ehrlich” bin, habe ich mich dazu entschieden heute mal wieder ein Stück meiner kleinen Welt zu teilen. Ich wünsche euch also viel Spaß bei meinem neusten Werk: Alf, die Liebe und das Leben.
Wenn ich mit Menschen darüber spreche, was ich beruflich mache, haben die meisten folgendes Bild von mir im Kopf: Ich schwebe elfengleich, gebadet in Licht und Liebe, grazil Richtung Sonne ... tief beeindruckt und geblendet von meiner inneren Goddess, dem Klang meiner Engelsstimme und dem verklärten Blick der tiefen Weisheit und Reife ... die Wahrheit ist: Ich fühle mich zu 85% des Tages wie Alf. Ich fühle mich wie ein kleiner, behaarter Außerirdischer, der keinen Plan hat was er hier tut, will, sagt, macht, denkt und fühlt. Als Kind habe ich die Serie “Alf” geliebt. (Ich kann mich zwar an keine einzige Folge mehr erinnern, aber ich glaube, da greift bei mir das Phänomen “Verdrängung”). Irgendwie war er mir immer sympathisch und ich habe seine Abneigung gegen Katzen geteilt, weil ich als Kind mal von einer gekratzt wurde und danach jegliche Freundschaft zu ihnen gestorben war. Wie weitreichend die Alf-Schose allerdings geht, weiß kaum jemand. Allein heute war ich schon mindestens fünf Mal Alf und es noch nicht mal Mittag! (Während ich das hier schreibe).
Ich hasse es z.B. Anrufe zu tätigen. Ich möchte mich dann in die Ecke setzen und heulen. Ich muss mir auch alles aufschreiben, was ich sagen will, weil sobald z.B. das Finanzamt den Hörer abnimmt und sagt: “Guten Tag, hier ist Bodo vom Finanzamt. Was kann ich für Sie tun?”, läuft in meinem Kopf die Titelmusik von Jeopardy - mich überkommt eine latente Panik, ich fange an zu schwitzen, meine Synapsen fliegen raus und ich bin ab da nur noch mit dem luftleeren Raum in meinem Hirn beschäftigt. Während ich wiederum bei Vorstellungsgesprächen immer vor Selbstbewusstsein gestrotzt und mit Eloquenz jeden Arbeitgeber überzeugt habe. Gespräche über Politik und den Einsatz von Waffen im Nahen Osten? Titelmusik von Jeopardy. Vor einer Klasse stehen und unterrichten? Kein Problem. Den Kellner im Restaurant nach Salz fragen? Jeopardy ... und so weiter und so fort.
Ganz schlimm wird es in Sachen Liebe: Wenn ich auf meinen Mann treffe, den ich mag, spielt mein Hirn nach knapp 2-3 Minuten die Titelmusik von Alf ab und ich verwandele mich asap. Während mir also mein Gegenüber Geschichten aus seinem Leben erzählt, kriecht in meinem Kleinhirn langsam aber sicher, die Titelmusik von “Alf” hoch, verankert sich dann in meinem Frontallappen und schon ist der Drops gelutscht. Alf in Dauerschleife. Was tut Frau also? Lächeln. Ich lächele ganz viel in meinem Leben, zwischendurch mal zustimmend nicken hilft auch und bloß nichts anmerken lassen. Merkt auch keiner btw. Ich bin richtig gut da drin den Schein zu wahren. Je nach Attraktivitätsgrad und Anziehung kommt es auch mal vor, dass die Titelmusik von Baywatch läuft und ich mir vorstelle, wie er mich - nur bekleidet mit einer roten Speedo - vorm Ersaufen rettet. Irgendwann, wenn ich dann wieder alleine zu Hause bin, fange ich an das Gespräch zu rekapitulieren. Erinnerungsfetzen aus Hirnregionen raus zu kramen und zu überprüfen ob das alles wirklich gesagt wurde, oder ob ich es mir nur eingebildet habe. Ich tippe ja insgeheim da drauf, dass es aufgrund meiner Alf-Verwandlung und dem damit verbundenen Anflug von Blödheit nicht klappt mit mir und den Männern. Ganz schwierig wird es, wenn beide insgeheim glauben Alf zu sein, aber keiner drüber spricht. Anstatt das zwei Alf`s glücklich in den Sonnenuntergang reiten, enden beide bedröppelt allein unterm Weihnachtsbaum oder mit Kermit und Miss Piggy - je nach geschlechtlicher Vorliebe - vielleicht auch direkt mit beiden Schnarchnasen aus der Muppet-Show. Ist schon anstrengend, kann man nicht anders sagen.
So richtig kann ich mich mit meinem Alf nicht anfreunden, irgendwie nervt der mich. Manchmal gehe ich als Alf aus dem Haus und komme als Goddess zurück. Manchmal gehe ich auch als Goddess aus dem Haus und verwandele mich nach kürzester Zeit wieder in Alf. Da ich hin und wieder auch klug bin, weiß ich aber: ein Kampf gegen Alf wird nichts bringen, das macht es nur schlimmer. Also soll er eben bleiben und ich gebe ihm das, was er nie bekommen hat: Liebe.
Wir haben alle einen Alf in uns, der vielleicht nicht gesehen, gehört oder geliebt wurde. Der Ablehnung erfahren hat, Schmerz erleben musste, belächelt wurde... Wir können nicht wissen, wie tief verletzt der Alf in unserem Gegenüber wirklich ist, wir können uns nur mit unserem eigenen Alf beschäftigen und ihm den Mut verleihen sich (ausgewählten) Menschen zu zeigen, um dann festzustellen, dass er nicht allein auf weiter Flur steht. Einen Goddess Club habe ich ja bereits gegründet, nun gründe ich das anonyme Treffen aller Alf`s dieser Welt - ich nehme all die beharrten Weirdos drin auf, schicke ein bisschen Licht und Liebe und lege täglich ne Schweigeminute ein. Kostet euch nix, mach ich for free - auf das wir alle mehr von unserem Alf zeigen, anstatt so zu tun, als ob alles immer rund läuft und wir uns am Ende des Tages deshalb einsam fühlen.
Ich will auch zum anonymen Treffen aller Alf`s dieser Welt 🥸